GEORGES ROUAULT
Ein Leben für die Malerei
Diplomarbeit
im Institut für Waldorfpädagogik Annener Berg
Witten/Ruhr
vorgelegt von
Sylvain Coiplet
1989
Inhaltsverzeichnis (deutscher Teil)
Einleitung
Vorwort zum Briefwechsel
Georges Rouault & André Suarès : Briefwechsel (1911-1948)
Einleitung
Man kann sich dem Leben Rouault skizzenhaft
annähern. Das Kind hat Freude am Malen. Der Freude hilft die
Nachahmung der Tanten, die für eine Fabrik auf Porzellan malen. Ferner
wird sie gefärbt durch die Begeisterung des Großvaters für
Maler wie Daumier, Courbet, Manet, die in der Zeit überhaupt nicht
anerkannt sind und von denen er ihm Reproduktionen zu sehen gibt. Alle
einfache Leute.
Innige Verehrung wird er weiter pflegen können,
einmal vor den Glasfenstern des Mittelalters, die er als Lehrling zu
restaurieren hat, dann an der Seite Moreaus, den er an der Ecole des Beaux
Arts als Lehrer bekam, vor den alten Meistern: zunächst vor Rembrandt,
aber auch Dürer, Grünewald, Vinci. Sein Können wird jeweils
anerkannt, was so weit führt, daß er Arbeitsanträge
bekommt. Jedoch nicht weiter, weil er, aus verschiedenen Gründen,
nicht glaubt, sie annehmen zu dürfen. Malen aber ja. Sein weiteres
Werk, wo er oft nicht mehr bis zur technischen Vollendung geht, bringt ihm
sowohl Hohn wie auch die hoffnungsvolle Erwartung einiger Kritikern, aber
keine Lebenssicherheit. Daher zunächst die Verbindung mit Vollard
(1917), Ankäufer Renoirs, Cezannes, Van Goghs und auch Herausgeber. Er
erklärt sich diesmal bereit, ihm all seine Werke zu verkaufen (es sind
inzwischen schon mehr als 700 im Gang) aber mit der Bedingung, an sie bis
zum Lebensende arbeiten zu können. Die Arbeitsweise, sei es für
die Bücher (Illustrationen) oder für die Malereien, die der eine
oder der andere auswählt, führt dazu, viel mehr Platz der Arbeit
an sich, als der Bekanntmachung einzuräumen.
Eine wichtige Austellung (1937) bringt ihm letztendlich
den Ruhm, den er nach dem Tod Vollards (1939) brauchen wird, um ohne
weiteres bis zu seinen letzten Kräften (1956) malen zu können.
Vollards Tod und anschließend der zweite Weltkrieg bedeuten aber
für ihn einen großen Bruch. Durch Mißverständnis
(Erbschaftsprobleme) sind ihm seine zwei Ateliers bei Vollard (900
unvollendete Werke mit hinein genommen) verschlossen worden. Bald werden
andere Werke in seinem eigenen Atelier von den Deutschen zerstört. Als
er nach einem Prozeß (1947) 800 von den 900 Werken wiedererlangt,
zerstört er selber was er glaubt nicht mehr beenden zu können.
Teils weil er davon acht Jahre lang getrennt worden ist und nicht mehr
daran anknüpfen kann, was im Gang war, teils weil er sich nicht
zerstreuen lassen will (er ist schon 76 Jahre alt).
Bis zum Lebensende arbeitet er sich so durch seine
vorherigen Werke, wählt einige aus die er behält. Dabei sammelt
er sich und seine Kunst entwickelt sich weiter.
Vorwort zum Briefwechsel
Suarès war Schriftsteller, aber auch
gelegentlich Kunstkritiker. Er befreundete sich mit Künstlern wie
Bourdelle und Rouault. Als Rouault nach dem Tode Suarès seine Briefe
an ihm von dessen Frau zurück bekam, spürte er den Unterschied
der Schreibarten, und wollte zunächst nur die von Suarès
herausgeben lassen. Er sei doch im Unterschied zu Suarès kein
Schriftsteller.
Dafür konnte er reden. Das fühlt man an
seiner Art, Wörter oder ganze Passagen zu unterstreichen (was ich hier
nicht sichtbar gemacht habe). Durch diese Betonungen, gleichsam
Schwerstellen gleicht der Text mehr einem Gespräch. Als er später
« Über Kunst und Künstler » zu schreiben versuchte,
nannte er bezeichnenderweise diese Versuche « Selbstgespräche »
(1944). Zuvor waren sie als « Gespräche mit Suarès »
(1925) erhofft worden und gescheitert. Suarès war eben
Schriftsteller durch und durch, und vielleicht deswegen nicht so leicht
für Improvisationen zu gewinnen.
Zum Verständnis der Briefe muß man wissen,
daß lange nicht einmal Suarès an die unfertigen Bilder von
Rouault herandurfte. In den ersten Briefen spricht Rouault aus dieser
selbstgewollten Einsamkeit heraus und nämlich vor allem darüber,
was ihn bisher im Leben getragen hat. Später spricht er sich
näher an die Werke heran. Die Briefe verlieren dadurch von ihrem
biographischen Charakter, oder die Werke werden vielmehr selber zur
Biographie.
Georges Rouault & André Suarès : Briefwechsel (1911-1948)
Soweit nichts anderes vermerkt, sind es Briefe von
Rouault an Suarès.
1 (16/7/1911)
[...] Mit Ehrfurcht lese ich zur Zeit « Schuld
und Sühne » von Dostojewskij. Ja, trotz meiner Unfähigkeit
spüre und entdecke ich in jedem Augenblick neue Schönheiten, und
was für Schönheiten, unbekannte und herrliche... inmitten der
tragischsten und niedrigsten Tatsachen, verwandelt durch Genie. Ich trage
in mir ein Urgrund von Schmerz und unendlicher Melancholie, welcher das
Leben nur entwickelt hat und von dem meine Malerei, wenn Gott es mir
gewährt, dann der unvollständige Ausdruck ist.
Ingres ist allzu gesund. Ich versuchte ihn wie aus der
kindlichen Gesinnung eines Kindes zu lieben. Ich bin dafür bestraft.
Meinen kleinen Text über ihn kann ich nicht mehr lesen. Ich schrieb
ihn, weil die Kraft, das Können, und die Willensstärke des Mannes
mich begeistert hatte. Das Lesen Dostojewskijs hat mir alles zuwider
gemacht. [...]
2 (22/8/1911)
[...] Das Leben ist ein Stück von
leidenschaftlicher Kraft und gewaltig, wenn man daraus das
Schöpferische zu ziehen weiß, das Geist und Herzen zum Entfalten
bringt. Ich habe in dieser Bahn angefangen... kann heute nicht zurück.
Ich zählte nur auf mich, zog alles aus mir und ich frage mich manchmal
warum das für die anderen soviel Mühe, Widerstände und Opfer
bedeuten soll. [...] Gustave Moreau war gestorben. Meine
Unversöhnlichkeit und meine Offenheit in künstlerischen Dingen
verdammten mich zu dem schrecklichsten Elend .Zu dieser Zeit hatte ich
zahlreiche Angebote. Es wäre mir möglich gewesen, gute
Geschäfte zu machen, mit der Kundschaft von G. Moreau eine
ausgewählte, zurükschauende und einbringende Kunst
hervorzubringen...
Ich wurde Museumskonservator, was mich von diesem Joch
befreite, das ich niemals angenommen hätte. Meine einfache Lebensweise
erlaubt es mir mit jenem Gehalt von 2400 F künstlerisch das zu tun und
zu suchen was mir paßt. Ich habe zwei Kinder aber meine Frau teilt
vollkommen meine Art zu sehen und bis zu diesem Tag ist mein
künstlerisches Gewissen rein geblieben ...jedoch erscheint mir der
Kampf so hart und peinlich, daß ich niemandem einlade mir zu folgen.
Ehemalige Freunde von mir sind Lehrer in den Kunstakademien der Provinz.
Sie wollen mich immer von neuem gleichsam anstoßen, und sagen mir,
daß sie gezwungen sind, ihre Schüler zu den Meistern der
anerkannten Kunst zu schicken ...ich aber antworte ihnen, daß es mir
möglich ist zu reden, jedoch nicht zu unterrichten, zudem ich weder
Belohnungen, Medaillen noch Titel erteilen kann, ganz zu schweigen von
einem Beistand zum Geldverdienen. Ich weiß nicht zu sagen, wie dieser
Vater : "Verdiene viel Geld mein Sohn, viel Geld ... auf ehrliche
Weise, wenn du es schaffst ..."...also... [...]
16 (8/10/1912)
[...] Mein Laster ist zu viel zu arbeiten. Das wird
Ihnen übertrieben vorkommen ,aber nein! glauben Sie mir, schon G.
Moreau warf es mir vor. Er sagte : " Im Gegenteil zu vielen Ihrer
Kollegen arbeiten Sie Tag und Nacht, Ihr Geist, Ihre Einbildungskraft
wenigstens, und die Hand gehorcht dann ."
[...]
36 (4/7/1913)
Wenn ich den Anschein machte, lange Zeit herumzuirren,
war es zum Teil, weil die Anhäufung der Formen, der Gestalten, der
Gefühle und Emotionen, die ich hatte, mir zum unüberwindbaren
Hindernis wurde. All das sollte irgendwie heraus. Am Tag der Befreiung
haben meine Freunde oder wenigstens diejenigen, die ich für solche
halte, Schreie ausgestoßen. Wenn man einmal eine Etikette
verpaßt bekommt, dann muß man seine Arbeit erfüllen: Ich,
der ehemalige Mystiker, habe ein herausforderndes und wildes Kind
hervorgebracht, welches von Geburt an der Gesellschaft die Faust zeigt.
Für einige von ihnen war ich der Mann der den Himmel mit weißen
Augen anschauen soll wie der heilige Sankt Augustin und die heilige Monique
von Ary Scheffer [...]. Ich fing, an befreit zu sein, ihr Urteil war mir
" schnuppe " [...].
37 (18/7/1913)
Ich bin Versailler zwar, jedoch nicht vom Herzen. Leute
von Versailles, ihr könnt mich nicht besiegen, das schafft ihr nicht.
Ihr schlaft viel zu früh ein. Tag und Nacht bleibe ich wach und hoffe
auf Befreiung. Noch einen Winter bin ich der Maulwurf und dann gibt es
Licht oder den Tod .
40 (30/8/1913)
[...] Das Thema der Austellung wird sein:
religiöse Kompositionen mit Landschaften. Aber diesmal so, daß
die Inspiration viel unmittelbarer aus der Natur als beim Gestorbenen
Christus kommt. [...] Letztens, bei wunderschönem Wetter, war ich eine
halbe Stunde in dem Park, welchen ich seit drei Monaten nicht mehr gesehen
hatte. Den darauffolgenden Tag habe ich die Serie der Landschaften
vollkommen umgestaltet, so wie Sie einige bei sich haben; die Vision kommt
gleichsam unwillkürlich zu mehr Ruhe.
[...]
45 (23/10/1913)
[...] Von nun an wird die Keramik zweitrangig werden.
Das ist genau das, was ich geträumt hatte. Die Natur selber hier in
Versailles wird wohl alles aus mir herausholen! Die Landschaft (nicht so zu
sehen wie die Landschaftmaler) wird mir zum Sprungbrett! das heißt,
ein Salto nach dem anderen! [...]
47 (30/10/1913)
[...] Ich weiß sehr gut, daß ich zur Zeit
am Abhang, besser gesagt, auf dem Kamm eines Berges bin; auf der einen
Seite das Leben, auf der anderen Seite die Vergangenheit, meine
Vergangenheit. Sie wird wiederkommen diese Vergangenheit, sie ist nicht
tot. Aber der erträumte Einverstand der beiden: na, ja ... Das schafft
man nicht. Ich habe es schon seit langem, ja, ich habe es schon immer
gespürt: daher das unwohle Gefühl. Das Einverständnis
muß von der Natur gemacht werden. [...] Die ist es die mir
Ratschläge zu geben hat.
48 (1/11/1913)
[...] Bis jetzt habe ich immer den Kampf mit meiner
Malerei als "Aufputscher" genommen. Heroisch, aber begrenzte
Anwendungszeit. Übrigens ist das Wort "Kampf" nicht mehr so
richtig, ich durchlaufe vielmehr eine Folge der Ruhe und
Überlegung.[...] Endlich habe ich vielleicht eine Materie, die meinen
Bedürfnissen entspricht, eine Materie für die
Ölmalerei,nicht glänzend und auffallend wie Emaille, nicht zu
matt wie die Freske, sondern nüchtern und ernst.
Sie werden durch die Fortsetzung sehen, wie wichtig
diese Beschäftigung mit der Graphik gewesen sein wird, sogar bei der
Groteske. Daher und von zehn Jahren des Suchens diese eine "malerische
Schrift". Das ist nicht so sehr ein Unterschied in den
Lichtverhältnissen, vielmehr das innere Bedürfnis, welches sich
vereinfacht, klar wird. [...] An diesem Beruf, der so schwierig erscheint,
sobald man ihn ein wenig durchdringt, werde ich von neuem Gefallen finden,
er paßt zu mir und ich werde endlich mich nicht nur strecken, sondern
Wohlgefallen empfinden.
Der fällt mir leichter als die Keramiken
49 (4/11/1913)
[...] Natürlich können Sie nach Versailles
kommen wann Sie wollen, das würde mir ein großes Vergnügen
sein, jedoch kann ich Ihnen von meiner Malerei und meinen Keramiken nichts
vor 6 Monaten zeigen.
Das Wichtige, ist einen echten Fortschritt zu machen.
[...]
51 (28/12/1913)
[...] Ich bin vielleicht dabei, unbekannten Ufern
entgegenzuschwimmen. Nehmen wir doch die letzten Graphiken, die Sie gesehen
haben. Ich hatte hundert, davon einige große. Wegen all meiner
Schwierigkeiten habe ich weniger gearbeitet. Bewußt wurde mir,
daß sich die Themen ändern können, jedoch fehlen ihnen das
Gefühl und die Technik, die ich vor der Natur empfinde. Das sind
"Typen" und selbst in den Landschaften bleibt das eine
Konvention. Bezüglich der Farbigkeit spielt sich alles in Schwarz oder
in den dunklen Grüns ab. Von Zeit zu Zeit ein Erwachen von Rot [...]
Der Rest wird anders werden [...] Ich konnte weder übersetzen,
kopieren, noch das interpretieren, was ich spürte. Weder die Materie,
die Tonstufen, die Harmonie, noch die Beziehungen befriedigten mich. Es
wurde nach und nach nötig, die alte Materie zu vermeiden,um eine neue
zu finden, die sich mehr der Freske nähert. Wenn Sie wollen eine
blonde Materie. Vielleicht viel seltener als meine Abstufungen in Schwarz.
[...] Ich bin auf dem Wege: wenn ich 60 Keramiken habe, werden davon
wenigstens 40 Blau Ocker, Gold Weiß, Ocker Weiß sein. Helleres
als Folge meiner neuen Versuche in der Malerei. [...] Sogar meine
Ungetüme werden ein Lichtbad nehmen, es sind gar keine Ungeheuer
mehr.[...] Ich bin nicht im Süden, aber ich habe hier genauso Himmel,
Wasser und Weite. Ich profitiere nicht genug davon.
[...]
Beim Nachhausekommen habe ich gesehen, diesmal
endgültig, daß ich mich nicht darum sorgen sollte, (ich
fühlte es schon) Graphiken hinsichtlich der Ausstellung zu machen. Sie
könnten sagen, daß ich noch einmal den Verstand verloren habe.
Nein, ich besteige einen Vollblüter. [...] Glauben Sie nicht,
daß ich ein immer wechselnder Mensch bin. Im Gegenteil, ich bin zu
dickköpfig. [...] Ich trat auf der Stelle durch meine Liebe zu
unmittelbaren Resultaten oder auch durch das Gegenteil: durch
unerbittliches und langes Suchen der reichhaltigen und raren Materie. Es
paßt nicht zu einem großzügigen und kraftvollen Stil.
Jedesmal, wenn ich auf eine Schwierigkeit stoße, gilt es sich ein
wenig anzustrengen (aber nicht zuviel) und zuschauen. [...]
56 (12/2/1914)
[...] Diese zwei Jahre Einsamkeit,
Zurückgezogenheit werden mir viel gebracht haben. [...] Ja, sicherlich
ist es offensichtlich, seit zwei Jahren habe ich dieses Sprießen des
Frühlings drin im Auge. Ich brauche doch nur in die Straße zu
treten! Es gab für mich diesen Winter wertvolle Dokumente .
Aber glauben Sie mir, meine neuen Vorstellungen gehen
weit über mein jetztiges plastisches und malerisches Vermögen.
[...] Mehr als zuvor verharre ich in einem Irrtum ( wenn es überhaupt
einer ist). Der wunderbare Maler kann alles malen. Betet zu Gott, daß
ich einer werde und, daß auch ein scheinbarer Irrtum oder eine
gewagte Wette mich dennoch dazu bringt, Kunsttaten zu schaffen. [...]
59 (6/5/1914)
[...] Ich scheine voranzukommen. Welch ein angenehmes
Gefühl! Dieses " Treten auf der Stelle " ist selbst sehr
geduldigen Künstlern ein Graus. Bezüglich meiner Kunst habe ich
jedoch eine unbegrenzte Geduld .Das wird besonders diejenigen verwundern,
die glauben, das Leben der Kunst leicht mit zwei oder drei Tönen zu
finden, mit zwei oder drei geseiberten, herausgespuckten Formen, mit
größter Gleichgültigkeit ... Ich beglücktwünsche
mich jeden Tag, nichts gezeigt zu haben, selbst denjenigen ( diese sind
nicht zahlreich), die mir oder meiner Kunst eine Hellsichtigkeit und
tatkräftige Freundschaft entgegenbringen. Ah! eins ist sicher, ich bin
ein schwieriger Mensch, aber warum nicht? [...]
63 (27/5/1914)
[...] Von den in religiöser Tradition
aufgewachsenen Menschen wird er oft nicht verstanden, der gewaltige
Schmerz, Sprungbrett, das den Menschen Schwung gibt, für die das Leben
eine richtige Wüste geworden ist und der Trost der Menschen ... ein
schlechter Ulk. [...]
77 (20/5/1915)
Es ist das Jahr 1915, welches für mich zählt;
neben meinen vorherigen Bemühungen wird es genauso viele neue Sachen
geben, aber diese vorherigen Bemühungen mehr lyrischer Art (
Kompositionen von nackten Gestalten in großen Landschaften) werden
vielleicht nicht der schlesteste Teil dieser Austellung sein.
82 (11/9/15)
[...] Ich bin immer derselbe, sollte aber meine
Anflüge von Melancholie und Traurigkeit, die den mir Nahestehenden das
Leben erschweren, für mich behalten.
Ohne mir darüber bewußt zu sein, komme ich
wahrscheinlich mit dieser angespannten Art dazu, genauso hinderlich zu sein
wie diejenigen, die wegen jeder Kleinigkeit loslachen oder wenn es gar
nicht gefragt ist. [...]
85 (1/11/1915)
[...] Ihre Kritik hat ihre Richtigkeit bezüglich
der Anstrengung und der Zeit, die ich nötig habe, um zu schaffen:
beinahe Vergiftung. Es bleibt aber eines zu klären und da will ich ein
wenig weiter als Sie gehen.
Ich sage nicht, daß derjenige, der am Schnellsten
"Vision, Form und Farbe" verwirklicht, der Stärkste ist. Er
ist der Stärste in der Kunst, die ich suche. Sie werden erstaunen.
Ich schaffe (auf meine Weise, die wohlbemerkt
vielleicht nicht die beste ist) ich schaffe wie der Wind, der weht,
oder wie das Feuer, das flammt.
Ich weiß alles, was man da sagen kann. Auch,
daß alle Kritiker, sogar die Künstler und Kunstgelehrten, sich
dagegen sträuben... zumindest habe ich die Empfindung, ihnen gegen den
Strich zu gehen.
Virtuosität, Vollendung, etc., etc., hören
Sie nur ihre alte Leier, Ehrenhaftigkeit, Aufrichtigkeit... All das ist
ohne Bedeutung.
Wenn ich auf diese Weise schaffe, sagen Sie vielleicht:
"Warum lassen Sie mich, Ihren Freund Suarès, der Ihnen so viel
Sympathie entgegenbringt, jahrelang warten? Sie müssen doch
Abertausende von Werken geschaffen haben: lassen Sie sie doch endlich
sehen, selbst wenn Sie bescheiden sind, sind es doch die Kinder Ihres
Herzens und Ihres Geistes". Wir rühren da an mein Geheimnis.
Wenn die Kinder etwas verstecken und jemand soll es
suchen, so sagen sie: "Es ist heiß, du bist ganz nah dran! Jetzt
ist es wieder kälter!"
Mein lieber Suarès es ist ganz heiß!
Soll ich Ihnen ein Geständnis machen? Sie denken,
daß ich oft bei der Arbeit gestört werde, dieses ist nicht der
Fall. Sollte es mal vorkommen, halte ich mich einfach länger wach,
"aber Ihr Werk, wo ist es denn?... Machen Sie nicht selber die
ungeheure Anstrengung, in der Sie sich manchmal erschöpfen,
zunichte?"... Nun, machen wir Schluß damit! Immer die selbe
Bemühung, über Jahre hin, mit denselben Bildern und denselben
Gegenständen. Glücklicherweise habe ich auch "nebenher"
gearbeitet und manchmal ein oder zwei Variationen über dasselbe Thema
geschaffen. [...]
Lassen Sie uns das in Kürze betrachten und einen
guten Kritiker aus uns machen, das heißt, Sympathie und Vertrauen in
unsere Anstrengung zu legen. Ich sage Ihnen, daß in dem Maße
wie die Form feiner und edler wird, selbst in meinen Abscheulichkeiten, die
Form an Schönheit gewinnt. [..]
91 (26/5/1916)
[...] Es gibt dabei "Orient", der Ihnen
gefallen wird. Es ist eine Landschaftsfolge wo, hoffe ich, die
Realität und die Imagination sich glücklich verbinden. [...] Ich
gestehe, daß ich mir seit diesem Krieg klein vorkomme, obgleich
inmitten aller Ängste und Krankheiten mir einige Fortschritte bei der
Vision und der Form gelungen sind. Ich habe den Eindruck, eine Art
bewußter Verrückter zu sein, der seinem Steckenpferd wie ein von
der Kunst Angestochener nachkommt.
[...]
95 (1917)
[...] Hier bevölkere ich die Ströme mit
Krokodilen, phantastischen Tieren, mit Schwarz und Weiß und Negern
eines künstlischen und problematischen Lebens! Man macht was man kann!
Ich bin noch bei meinen schwarzen Zeichnungen für die typographischen
Schriftzeichen.
Ich bereue es nicht, wieder angefangen zu haben. Mit
meinem Tuschpinsel habe ich mir eine ungeheure Freiheit erobert! Das hat es
in sich, wissen Sie!
Ich habe endlich auf weißem Papier große
Zeichnungen, flott aus einem Guß hervorgebracht und von einem
manchmal etwas extravaganten Rhythmus, aber schick im Wurf. Das ist
gewonnen und wichtig für meine zukünftigen Werke. Ich bin weniger
festgefahren in den Abstufungen der Töne und den Schattierungen von
Schwarz.
111 (Vers 1920)
[...] Ich glaube diesmal war der Kampf furchtbar. Das
ist nicht besser als das, was ich schon in Schwarz gemacht habe, aber
nachdem ich dazu angehalten worden bin, die Mehrzahl der wichtigen Skizzen
von Guerre in Farbe umzusetzen, habe ich mich nicht mit einem Kratzen
zufrieden geben können - nach einigen Pleiten ist meine Linie
wiedergefunden. Ah, das ist nicht diejenige von Dominique..., aber ich
möchte gerne, daß Sie das in den Figuren haben, was Sie in den
Landschaften zu sehen erträumen.
Beispiel:
Der Gerechte ist wie Sandelholz
Das die Axt parfümiert mit der man es
schlägt 35
Das ist wie eine junge abgemähte Kornblume... Es
hat nichts von Daumier und vielleicht träume ich auch, aber ich
bilde mir ein daß mein Originalwerk ein Parfum verbreitet, das nicht
sehr tragisch ist. Es ist eine gewisse Harmonie vorhanden, die ich seit
langem im Rhythmus und in der Farbe suche.Aber mit zwanzig litt ich sehr
beim Anblick der Natur; ich hatte die gleichen Bedürfnisse,
wußte es aber nicht zu sagen. [...]
128 (25/8/1923)
Es sind Geschichten vorgekommen, ganz schlimme
Geschichten, der alte Moreau hatte recht:
Man kämpft voller Hoffnung, von der frühen
Morgenstunde an mit einem Raubtier, am Abend liegt man darunter begraben.
Daraus habe ich dennoch, so scheint es mir, eine gute Lehre gezogen und
diesesmal ist sie hoffentlich endgültig. Einen gewissen Ausdruck
kriegt man nicht mit einer gewissen Ausführung zusammen. Im Feuer sind
Formen aber keine Linien.
Eine vollkommenere Verwirklichung zu wollen, ist
manchmal Narrheit. [...]
134 (21/3/1924) Brief von Suarès an Rouault.
Nur Mut, lieber Rouault. Arbeiten Sie immerfort.
Greifen Sie nicht wieder auf, was Sie befriedigt hat. Wir haben nur ein
Leben. Gestern ist nicht heute. Ich erwarte viel von Ihrer Austellung.
Morgen, wie vor fünfzehn Jahren habe ich kein Zweifel darüber,
wer Sie sind; wenn ich Sie (mit ihrer Begabung zum Maler) zum wolkenlosen
Licht bewege, werden Ihre Anhänger mehr erstaunt darüber sein als
ihre Feinde. Nichts ist tragischer als Licht.
143 (23/8/1925)
Sie sollten verstehen (übrigens sind es nicht
viele, die es fühlen und begreifen), daß die Malerei der Grund
des Bedürfnisses ist, mich zeitweilig von allem zurückzuziehen,
sogar von den wertvollsten und freundschaftlichsten Gesprächen.
[...]
G.Moreau sagte von mir: "" Wenn man ihn
verschwinden sieht, dann ist er in Hochspannung wegen der Bilder "
eine Art Krise "", an der die guten Leute immer weniger
interessiert sind. Sie war schrecklich, aber daraus habe ich mich jetzt
fast herausgezogen. Ich, der mich einigermaßen gefestigt glaubte,
muß mich noch viel stärker der Natur anlehnen. [...] Bei Ihnen
werde ich es mit Worten versuchen, obwohl die Malerei eher Farbe ist,
Harmonie. Ich habe mich an dieser neuen und schrecklichen Sache
gestoßen, hatte es schon vorausgefühlt: es gibt ein
Gleichgewicht der Farbe, ich sage nicht wie Dominique:
Rechtschaffenheit (oder wenigstens wie solche, die es
ihn von seiner Geburt bis zu seinem Tod sagen lassen und es sogar in Stein
hauen). Dieses Wort läßt einen lachen. Das farbige Gleichgewicht
von dem ich spreche ist schier Wagnis, ...ist Harmonie. [...]
Ich war einmal Glasmaler, eine köstliche
Erinnerung, meine Durchreise war von kurzer Dauer, markierte mich jedoch
mit einem legendären, epischen, ich wage sogar zu sagen traditionellem
Siegel,
da meine ich die Rosette von Chartres,
die ich nicht gesehen,
Scham und Elend über mich!
aber ich hatte zu dieser Zeit andere berühmte
Glasfenster vor meinem Auge,
unglüklich und einsam
wie Mose
das Heilige Land suchend.
Bevor ich Gauguin, Cézanne und Van Gogh kannte,
hatte ich schon eine Abneigung gegen diese falsche Kopie der Natur,
durchschnittlich, brav sozusagen, aber vor allem mittelmäßig.
Sie vergessen es, diejenigen, die alles festlegen und mich romantisch
einschätzen.
Ich verabscheue gerade diese falsche Pracht einer
unechten Glasmalerei, dieses " lebendige Bild " was eben nichts
mehr mit der Kunst der Glasmalerei zu tun hat [...] Ich hatte viel mehr
Liebe zu einer ausgefeilten, keuschen Form
zu einer erhöhten Harmonie
als zu diesem alten, romantischen Kram. Gott weiß
von dem Unrat, den ich in diesem Sinne kenne.
166 (1926)
[...] Ich bin ein Angsthase und zu gleicher Zeit ein
Tollkühner. Mit Angst und mit Verwirrung schaue ich auf das, was von
meinem Gehirn und von meinem Herzen kommt. Ich hatte ein nostalgisches
Gefühl
von dem kleinen Lehrling des Vororts,
ich liebte die alte Leier
und die Drehorgel,
ich war nicht dazu gemacht, so "schrecklich"
zu sein wie sie sagen, sehe ich aber ehemalige oder aktuelle Bilder wieder,
so fühle ich mich zusammen mit Orpheus im dunklen Reich der Toten. Ich
lebe mit ihnen, ich denke mit ihnen, ich liebe sie und vereinige mich mit
ihnen durch ihre Werke; eine wirklich einzigartige Funktion für einen
Lebendigen. [...] Ich glaube an den Schmerz. Daß ich ihn mir nicht
vormache, ist mein einziger Verdienst. Ich bin verrückt nach der
Malerei und wie jedes Kind hoffe und träume ich noch von ich
weiß nicht was für einem Traumgarten, das ist ein Heiliges Land,
in welches es mir nicht erlaubt sein wird, zu Lebzeiten einzutreten. [...]
Wir sind gefallen: meine Clowns sind gar keine beraubten Könige, ihr
Lachen ist mir vertraut, es berührt den Wahnsinn der unterdrükten
Schluchzer, die ich gut kenne und die bittere Hinnahme. [...]
Überflüssige Gesten und die Virtuosität mit totem Herzen,
die kenne ich nicht.
Was wir sind, sagen wir so gut, ohne es zu wollen oder
zu wissen. [...] Um das Gleichgewicht zu halten, muß man manchmal
über sich selbst lächeln oder sogar lachen. Einige haben mir oft
dieses Lächeln von der Mundeecke her, wie sie sagen, vorgeworfen. Es
scheint ihnen vom Glaubensbruder und vom Clown herzukommen.
175 (Ohne Datum)
Verzeihen Sie mir, ich bin in den "Pampas".
Das sei der erwartete Brief. Das Papier ist schlecht, die Tinte
mittelmäßig und die Feder ebenso, aber all das macht nichts zur
Sache, wenn der Geist klar ist.
Ich habe niemals zuvor den Frühling gesehen; ein
längerer Aufenthalt würde wohltuend wirken. Das wäre Balsam
für meine Kunst.
Ein einsamer Wilder würde wieder aus mir werden,
und ich wäre glücklich, es zu sein... Eine Kristallisation wird
bei mir stattfinden: Frühling zwei oder drei Jahre lang und ich werde,
wenn Gott es will, Stella Matutina und Vespertina machen(oder noch
einfacher: Morgen und Nacht).
Das wäre nichts anderes als der beruhigte und
kontemplative Rhythmus des Herzen und des Geistes eines Malers. [...] Ich
ziehe mich zurück wie Lazarus im Sarg schlafend. Hoffen Sie, daß
ich nicht mit zuviel Stolz auferstehe. [...] Zwei Wochen sind schon
vergangen, und ich habe die ganze Zeit den gleichen Horizont abgesucht.
Wie früher bei den Jahrmarktsparaden oder mit
vierzehn vor den alten Glasfenstern, wo ich alles fallen ließ und
mich selber vergaß, habe ich die eine Urwahrheit entdeckt: ein Baum
vor dem Himmel hat das gleiche Interesse, den gleichen Charakter und den
selben Ausdruck wie die menschliche Gestalt. Es geht darum, es zu sagen:
die Schwierigkeit fängt dort an. Die Objektivisten spannen sich wie
einen Ochsen vor den Pflug. Los! und sie sind eigentlich schon seit langem
fertig. Wie viele habe ich doch von ihnen im Atelier gesehen; sie tragen
den Titel "stark im Thema". Einmal vor dem Modell, fingen sie mit
der Haarspitze an und gegen Ende der Woche, sogar vorher, war das
Männchen bis auf den letzten Lichtreflex auf dem Nagel der Zehen
fertiggestellt.
Und ich dann, sagte mir Unfähigkeit nach, sah den
blauen Grund der Mauer in Silber verwandelt, ganz von den
Lichtverhältnissen bestimmt und die Haut durch feinsinnige
Farbbeziehungen gefärbt. Der Geschmack der variierten Qualität
ist eine Freunde für das Auge und den Geist, aber es ist auch der vom
Zuchthäusler zu schleppende Hemmschuh.
Die guten Ratschlaggeber unter meinen Freunden sagten:
"Von der Natur werden Sie schnell genug haben". Für den
unverbesserlichen Visionär oder den legendären Poeten, würde
er auch tausend und abertausende Jahre leben in der Absicht, sie von den
verschiedlichsten Aspekten zu untersuchen, wäre sie immer das
begünstigte Sprungbrett zur Erneuerung.
179 (27/9/1928)
[...] Von der Schule bleiben einem bis zum Tode die
weiche und sanfte Atmosphäre, das zarte Spiel des Lichts, das
liebevoll die Form streicht. Mag auch dann die Imagination durcheinander
und das Bild bis zum Häßlichen gegangen sein. Aber meine Schule
war Miserere, was mich nicht hinderte zu singen, zu meiner Jugendzeit sang
man noch:
Alte Lieder Frankreichs
Ihr ward auf die Leute meines Landes
zugeschneidert
Klar, sanft und offen,
Dem jungen oder alten Soldaten
Habt ihr geholfen zu gehen
Schalkhafter Handwerker, emsig arbeitend
Oder sich dem Leben hingebend, verliebt singend.
Liebe Leute, ganz leise
Hören Sie hier ein anderes Lied
In Moll, das liebe Herz
Hat es nötig, still sein Leid auszuschütten.
214 (9/7/1934)
Genauso treu Paris
wie Notre Dame
der arme Wanderer, der ich bin, verdient nicht solch
eine Widmung weniger treu als ein schlechter Hund zerteilt
zwischen Traum und Wirklichkeit. Wenn ich, gerade eben die Schule vorbei,
über den großen Platz ging, um zu meinem im Sterben liegenden
Großvater zu gehen, er war die einzige geistige Stütze des
Kindes, was ich war und was ich immer noch bin, sang ich (kaum wage ich es
Ihnen zu sagen) in Richtung Notre Dame. Mein Gebet war ein Lied von innen,
mein Großvater tot und ich so unfähig auszudrücken
es sei denn später mit meiner so geliebten Kunst , was die
dunklen und geheimen Wünsche eines hitzigen und unglücklichen
Herzens sind... Ich sang Matines, und nicht De Profundis (sehr liebe
Kritiker halten mich für morbid) für den Großvater von
frischem Geist,klug und lustig in den schlimmsten Qualen.
Ich sang Matines in der Hoffnung eines Tages eine Kunst
ans Licht zu bringen, die er vielleicht geliebt hätte.[...]
254 (20/1/1940)
[...] Ich empfinde mich trotz der Schrecken dieses
Krieges, als einen neuen Menschen: Wasser, Himmel, Baüme, bei
unterschiedlichen Lichteinfällen, sogar während diesem harten
Winter, für meine legendären Landschaften mit Kontinuität in
unterschiedlichen Jahreszeiten beobachtet. [...]
255 (14/3/1940)
[...] Das hat nichts mit Impressionismus zu tun und
noch weniger mit dem, was danach kommt, ich würde sagen: die
"Vulgarisation", die hier zum "Küchenrezept" wird.
Aber diese guten Naturnachahmer, wissen Sie, haben vor
dem Wort Karikatur, welches Sie mir mit Grund nicht einhängen wollen,
ebenso wie vor dem Wort Alptraum, die größte Abscheu. [...]